Fahrwerk individuell einstellen 

Eine gelungene Fahrwerkseinstellung kann mit wenig Aufwand aus einem durchschnittlichen Motorrad ein individuelles SpaßgerĂ€t machen.

Fahrwerk individuell einstellen

Wie man eine undichte Gabel in Ordnung bringt, erfĂ€hrst im Schraubertipp Gabeldichtringe. Schließlich noch eine Frage: Wie alt ist das DĂ€mpferöl in deiner Gabel? Ähnlich wie Motoröl unterliegt auch Gabelöl einem gewissen Verschleiß und sollte spĂ€testens nach vier Jahren gewechselt werden.

Fahrwerk am Motorrad einstellen

Nach unseren Erfahrungen haben sich viele Motorradfahrer noch nie um die Einstellung der Federelemente an ihrer Maschine gekĂŒmmert. Das ist schade, weil sich mit einem individuell angepassten Fahrwerk eine Menge Fahrspaß und Sicherheit realisieren lassen. Nicht umsonst sind an fast allen MotorrĂ€dern mehr oder weniger umfangreiche Einstellmöglichkeiten ab Werk vorhanden. Diese effektiv zu nutzen, erfordert weder großes handwerkliches Geschick noch besonderes Werkzeug. Nur ein aufmerksames Studium der folgenden Schritte und etwas Spaß am Ausprobieren.

Ein paar Anmerkungen vorab:

  • Nicht nur die Federelemente sind fĂŒrs FahrgefĂŒhl verantwortlich. Bevor du dich ans Einstellen der Federelemente machst, sorge dafĂŒr, dass in den Reifen der richtige Luftdruck herrscht und dass das Profil noch nicht komplett runtergerubbelt ist: Beides kann die Ergebnisse deiner Arbeit verfĂ€lschen. Auch Rad-, Lenkkopf- und Schwingenlager solltest du auf spielfreie Funktion ĂŒberprĂŒfen. Und dass Gabelstandrohre mit schmierigem Ölfilm und leckende Federbeine keine Einstellung, sondern eine Reparatur brauchen, dĂŒrfte auch klar sein.
  • Die wichtigsten Werkzeuge bei Arbeiten am Fahrwerk sind Notizblock und Stift! Notiere zu Anfang unbedingt die Ausgangslage, also meist die Werkseinstellung und dann akribisch jede VerĂ€nderung, die du vornimmst. Nur so behĂ€ltst du die Kontrolle ĂŒber die Einstellung, kannst saubere Vergleiche anstellen und findest bei Nichtgefallen schnell zur Ausgangslage zurĂŒck. ZusĂ€tzlich können Fotos mit dem Smartphone bei der Dokumentation helfen. Außerdem solltest du bereithalten: Zollstock oder stabiles Maßband, Schraubendreher und MaulschlĂŒssel fĂŒr die Gabel, HakenschlĂŒssel fĂŒrs Federbein und natĂŒrlich das Fahrzeughandbuch fĂŒr die Maschine.
  • Wenn möglich sollte dir eine zweite Person zur Hand gehen, das erleichtert viele Arbeitsschritte enorm.
  • Mache es wie die Profis auf der Rennstrecke: Gehe Schritt fĂŒr Schritt vor und probieren jede Änderung im praktischen Fahrbetrieb aus. Merke: Erfahrung kommt vom Fahren!

Die Fahrwerksgeometrie

Die Fahrwerksgeometrie bestimmt, wie sich das Motorrad beim Fahren anfĂŒhlt. Die wichtigsten Parameter sind Radstand, Lenkkopfwinkel und Nachlauf (siehe Grafik: Fahrwerksgeometrie).

  • Der Radstand ist der Abstand zwischen Vorder- und Hinterachse. Grob gesagt: Je kĂŒrzer der Radstand, desto wendiger das Motorrad – je lĂ€nger, desto stabiler.
  • Als Lenkkopfwinkel bezeichnet man den Winkel zwischen dem Lenkrohr und der Vertikalen. Der Lenkkopfwinkel bestimmt zusammen mit dem Gabelversatz den Nachlauf.
  • Der Nachlauf ist der Abstand zwischen dem Punkt, an dem die gedachte VerlĂ€ngerung der Lenkachse den Boden berĂŒhrt und dem Aufstandspunkt des Vorderreifens. Je kĂŒrzer, desto nervöser – je lĂ€nger, desto trĂ€ger wird das Lenkverhalten.

Das VerhĂ€ltnis dieser Parameter zueinander ist immer ein Kompromiss: Wer in Richtung Handlichkeit optimiert, muss dabei Einbußen in Sachen StabilitĂ€t in Kauf nehmen und umgekehrt. Bitte beachte, dass das Zusatzgewicht eines Sozius den Lenkkopfwinkel und den Nachlauf verĂ€ndert – das Fahrwerk sollte dem Gewicht angepasst werden.

Einstellen der Federung

Die Federn tragen das Gewicht des Motorrads (und seiner Besatzung) und fangen StĂ¶ĂŸe ab. Das Einstellen der Federung dient in erster Linie dazu, das Motorrad an die individuelle Belastung durch das Gewicht von Besatzung und GepĂ€ck anzupassen. Den Effekt kennt jeder, der schon einmal einen Beifahrer mitgenommen hat: Durch das zusĂ€tzliche Gewicht ĂŒber dem Hinterrad sackt dessen Federung ein, die ganze Fuhre fĂŒhlt sich schwerfĂ€llig und unhandlich an. Mit Änderung der Federbasis (Federvorspannung) wird NICHT die Feder hĂ€rter oder weicher. Vielmehr wird das Fahrzeug angehoben oder abgesenkt. So lĂ€sst sich, ĂŒber die Anpassung an die Zuladung hinaus, die Geometrie und damit das Fahrverhalten beeinflussen. Bei allen Einstellarbeiten geht man am besten von der ab Werk vorgegebenen Einstellung aus. Diese findest du im Fahrzeughandbuch deiner Maschine. Dort steht auch, welche Änderungsmöglichkeiten der Hersteller ĂŒberhaupt vorgesehen hat. Zumindest die Federbasis hinten sollte bei allen Maschinen variabel sein.


Fahrwerk und Federung einstellen – so geht’s

Step 1, Abb.1: Ermitteln des Negativfederwegs an der Vorderradgabel

Step 1, Abb.1: Ermitteln des Negativfederwegs an der Vorderradgabel

01 – Die richtige Balance: Negativ-Federweg

Bereits im Stand werden die Federn vom Gewicht der Maschine und der Zuladung zusammengedrĂŒckt. Das muss so sein, damit die Federung beim Fahren immer den Kontakt zum Boden halten kann. Das Maß dieses Einsinkens ist der Negativfederweg. Um diesen zu ermitteln misst du vorn zweimal den Abstand zwischen unterer GabelbrĂŒcke und Staubkappe am Tauchrohr, bzw. zwischen Gabelfuß und Staubkappe an Upside-Down-Gabeln (USD). Das erste Mal bei voll entlasteter Federung (He) z. B. auf dem HauptstĂ€nder, das zweite Mal auf einer möglichst ebenen FlĂ€che mit Beladung (Hb), d. h. mit Fahrer plus evtl. GepĂ€ck/Sozius. Die Messungen im belasteten Zustand solltest du am besten zusammen mit einem Helfer durchfĂŒhren.

Step 1, Abb.2: Ermitteln des Negativfederwegs hinten

Step 1, Abb.2: Ermitteln des Negativfederwegs hinten

Hinten misst du von der Radachse zu einem fixen Punkt am Fahrzeugheck etwa senkrecht darĂŒber. Die jeweilige Differenz beider Werte ergibt den Negativfederweg (Fneg). Er sollte in beladenem Zustand ungefĂ€hr ein Drittel des Gesamtfederwegs (Fges) betragen. Letzteren findest du in den technischen Daten des Fahrzeughandbuchs.


Die Fahrwerksgeometrie

Die Fahrwerksgeometrie

Die Fahrwerksgeometrie

A: Gabelversatz

B: Nachlauf

C: Lenkkopfwinkel

D: Radstand

Lade dir die PDF-Datei runter, drucke diese aus und trage die Messwerte in eine der Tabellen ein.

iconEinstellung Negativfederweg vorn (Gabel)iconEinstellung Negativfederweg hinten (Federbein/e)


Step 2, Abb. 1: An den Gewindespindeln mit Sechskantkopf lĂ€sst sich die Federbasis der Gabel einstellen

Step 2, Abb. 1: An den Gewindespindeln mit Sechskantkopf lĂ€sst sich die Federbasis der Gabel einstellen

02 – Federbasis einstellen 

Mit den jetzt vorhandenen Messungen kannst du die Testphase beginnen. Halte dich dabei an die Bedienungsanleitung und notiere alle Änderungen in deiner Tabelle. An der Gabel Ă€nderst du die Federbasis meist beidseitig an Gewindespindeln, die du mit einem MaulschlĂŒssel rein- oder rausdrehst. Achte darauf, dass die Einstellung an beiden Gabelholmen gleich ist.

Step 2, Abb. 2: Federbasis lĂ€sst sich am Federbein mit einem HakenschlĂŒssel einstellen

Step 2, Abb. 2: Federbasis lĂ€sst sich am Federbein mit einem HakenschlĂŒssel einstellen

Am Federbein legt entweder eine Rastermechanik oder eine Nutmutter mit Kontermutter die Federbasis fest. Beide werden ĂŒber einen HakenschlĂŒssel bewegt, der meist zum serienmĂ€ĂŸigen Bordwerkzeug gehört. Auch hier gilt bei zwei Federbeinen: immer auch gleiche Einstellung achten.


Step 3: Zugstufen-Stellschraube am oberen Gabelende

Step 3: Zugstufen-Stellschraube am oberen Gabelende

03 – Fahrwerksgeometrie variieren

Jetzt geht es darum, die fĂŒr deinen Fahrstil und deine Lieblingsstrecken passende Einstellung, den richtigen Kompromiss aus StabilitĂ€t und Handlichkeit zu finden. Das heißt fĂŒr dich: immer wieder das so genannte Setup Ă€ndern, die Änderungen notieren und praktisch „erfahren“ Dabei ist es sinnvoll, vorn und hinten in entgegengesetzten Richtungen zu arbeiten: Vorn tiefer – hinten höher und umgekehrt. So bleibt der Gesamtschwerpunkt auf gleicher Höhe und beeinflusst nicht zusĂ€tzlich die Reaktionen der Maschine. Die werden auch so deutlich spĂŒrbar sein: Je 10 mm rauf oder runter können aus einem handlichen ein kippeliges und aus einem stabilen ein stures Motorrad machen.


Druckstufen-Stellschraube am Gabelfuß

Druckstufen-Stellschraube am Gabelfuß

Zugstufen-Stellschraube am Federbeinfuß

Zugstufen-Stellschraube am Federbeinfuß

Druckstufen-Stellschraube zwischen Federbein und AusgleichsbehÀlter

Druckstufen-Stellschraube zwischen Federbein und AusgleichsbehÀlter

Einstellen der DĂ€mpfung

Spezielles Öl in genau abgestimmter ViskositĂ€t bremst in der Gabel wie im Federbein das Auf und Ab der Maschine und verhindert ein Nachschwingen der Federn. Dabei unterscheidet man zwischen dem Ausfedern (Zugstufe) und dem Einfedern (Druckstufe). Wie stark der dĂ€mpfende Effekt des Öls ist, lĂ€sst sich grob gesagt ĂŒber Ventile einstellen, die den Durchfluss regulieren. Ist am Federbein nur die Zugstufe einstellbar, beeinflusst deren Änderung immer auch die Druckstufe.

Als erstes musst du wissen, welche Einstellungsmöglichkeiten deine Maschine ĂŒberhaupt bietet und wo die entsprechenden Stellschrauben zu finden sind. Dabei hilft natĂŒrlich wieder die Bedienungsanleitung.

Tabellen Download

Nachdem das Was und das Wo geklĂ€rt sind, kannst du dich endlich um das Wie kĂŒmmern. Auch hier solltest du unbedingt wieder unseren Tabellen nutzen, in die du, von der Werkseinstellung ausgehend alle Änderungen genau eintrĂ€gst.

iconEinstellung GabeldÀmpfungiconEinstellung FederbeindÀmpfung


Messarbeit: So wirkt die GabeldÀmpfung

Messarbeit: So wirkt die GabeldÀmpfung

04 – Gabel-Zugstufe 

FĂŒr die Zugstufe lĂ€sst sich schon im Stand relativ einfach eine passable Grundabstimmung finden. Dazu drĂŒckst du zunĂ€chst mit gezogener Bremse den Lenker krĂ€ftig nach unten. Die Gabel muss anschließend ohne Verzögerung zurĂŒckfedern, idealerweise etwas ĂŒber der Ruhelage hinaus und wieder in diese zurĂŒck, ohne weiter nachzuschwingen. Federt sie deutlich trĂ€ge aus, ist sie ĂŒberdĂ€mpft, springt sie bis zum Anschlag, oder schwingt gar mehrmals nach, ist sie unterdĂ€mpft.

Wiederhole diese Übung ruhig auch mal mit komplett geschlossenen und voll geöffneten DĂ€mpferventilen. Das gibt dir ein GefĂŒhl fĂŒr den Einstellbereich. Siehe hierzu das Diagramm (Grafik: So wirkt die GabeldĂ€mpfung).

X Achse: Zeit in Sekunden; Y Achse: Federweg in mm; Linie A: unterdĂ€mpft, Linie B: optimal, Linie C: ĂŒberdĂ€mpft,


Step 5: Ordentlich Druck machen: Test der FederdÀmpfung

Step 5: Ordentlich Druck machen: Test der FederdÀmpfung

05 – Federbein-Zugstufe

Die Zugstufe des Federbeins (bzw. der beiden Federbeine) testest du, indem du das Fahrzeugheck krĂ€ftig nach unten drĂŒckst. Das Federbein darf sich mit dem Ausfedern etwas mehr Zeit lassen als die Gabel (max. 1 Sekunde). Nachschwingen darf hier gar nichts. Auch hier solltest du den Einstellbereich checken, indem du die Übung mit geschlossener und geöffneter DĂ€mpfung wiederholst.


Step 6: Immer schön aufschreiben: Der Aufwand wird mit mehr Fahrspaß belohnt

Step 6: Immer schön aufschreiben: Der Aufwand wird mit mehr Fahrspaß belohnt

06 – Druckstufe und Feinabstimmung

Jetzt hast du eine ordentliche Grundeinstellung fĂŒr die ZugstufendĂ€mpfung. FĂŒr die weitere Feinabstimmung musst du auf die Straße.

Das gilt auch fĂŒr die Ermittlung der optimalen DruckstufendĂ€mpfung. Auch hier kannst du natĂŒrlich die Extremeinstellungen ausprobieren: Je softer die Druckstufe, desto tiefer wird die Gabel beim Bremsen eintauchen oder das Federbein in Schlaglöchern bis zum Anschlag zusammengestaucht. Das wirkt im Normalbetrieb auf ebener Strecke schön komfortabel, aber bei flotter Kurvenfahrt auch ziemlich schwammig.

Umgekehrt sorgt eine sehr straffe Einstellung z. B. auf der Rennstrecke fĂŒr stabile SchrĂ€glagen und gute RĂŒckmeldung, lĂ€sst aber auf holprigen Landstraßen die ganze Fuhre bockig wirken und bringt schlimmstenfalls die Reifen zum Springen.

Es geht also auch bei der DÀmpfung darum, den Kompromiss zu finden, der am besten zum eigenen Fahrstil, zur Beladung und zum bevorzugten Revier passt. Am besten lÀsst du dir damit Zeit, probierst verschiedene Varianten aus und konzentrierst dich möglichst nur auf jeweils eine Sache, also nur auf die Gabel oder nur auf die Hinterradfederung.


Fahrwerksumbau

Alle bisherigen Tipps beziehen sich auf das vorhandene Serienmaterial. Wenn diese Maßnahmen nicht ausreichen, weil z. B. die Federn einfach zu weich sind, oder weil dein Motorrad nicht genug Einstellmöglichkeiten bietet, empfiehlt sich der Austausch von Fahrwerkskomponenten gegen hochwertigeres Zubehör: Progressive Gabelfedern, Gabelöl in verschiedenen ViskositĂ€ten, so genannte Cartridge-EinsĂ€tze oder komplette Gabeln fĂŒr die Front, Federbeine mit und ohne Druckstufen- oder Höheneinstellung fĂŒrs Heck. Mit diesen hochwertigen Fahrwerkskomponenten steigerst du den Wert von Fahrsicherheit, Komfort, Fahrdynamik und Handling an deinem Bike auf ein Höchstmaß.


Das Louis Technikcenter

Solltest du eine technische Frage zu deinem Motorrad haben, wende dich gerne an unser Technik-Center. Dort hat man Erfahrung, Nachschlagewerke und Adressen ohne Ende.

Bitte beachten!

Bei den Schraubertipps handelt es sich um allgemeine Vorgehensweisen, die nicht fĂŒr alle Fahrzeuge oder alle einzelnen Bauteile zutreffend sein können. Die jeweiligen Gegebenheiten bei dir vor Ort können unter UmstĂ€nden erheblich abweichen, daher können wir keine GewĂ€hr fĂŒr die Richtigkeit der in den Schraubertipps gemachten Angaben ĂŒbernehmen.

Wir danken fĂŒr dein VerstĂ€ndnis.


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